„Börsen sind regelmäßige Zusammenkünfte von Käufern, Verkäufern und Vermittlern zum Handel mit Wertpapieren, Devisen oder typmäßigen Warengattungen an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten; sie sind ständige Einrichtungen mit der Aufgabe, Angebot und Nachfrage marktmäßig zusammenzuführen und planmäßig auszugleichen. Zu den Aufgaben zählt die Feststellung von Preisen, die möglichst viele Geschäfte zur Erfüllung bringen“ (Brockhaus).
Bekannt sind jedermann die Wertpapier- und Devisenbörsen; mehr im Stillen wirken Dienstleistungs- und Warenbörsen. Viele hörten schon von großen Warenbörsen, wie Chicago (gegründet 1848), Winnipeg, London (1566) oder New York, nicht zuletzt aus den veröffentlichten Notizen der Tagespresse. Berühmt gewordene Warenbörsen sind aber nicht nur gegründet, sondern oft wieder geschlossen worden (z.B. für Blei, Zink, Kautschuk).
Nutzen Sie die attraktiven Vorteile des Premiumbereichs der Südwest-deutschen Warenbörsen e.V.
Das Börsenwesen für Getreide, Futtermittel, Ölsaaten, Eier, Raufutter, Kartoffeln oder Heizöl konzentriert sich in Deutschland auf noch aktive nicht amtliche Börsen bzw. börsenähnliche Vereinigungen, von denen nur wenige eine fachliche und überregionale Bedeutung erringen und bis heute behalten konnten.
Träger der Mannheimer Produktenbörse, der Stuttgarter Waren- und Produktenbörse und der Frankfurter Getreide- und Produktenbörse ist der Südwestdeutsche Warenbörsen e.V. Sie wurden gegründet von wagemutigen Unternehmern mit Hilfe der damaligen Industrie- und Handelskammern. Sie blicken auf eine wechselvolle Geschichte zurück und verstanden es, sich den verändernden Strukturen der Landwirtschaft immer wieder anzupassen.
Die Mannheimer Produktenbörse und die Stuttgarter Waren- und Produktenbörse schlossen sich ab 01. Januar 1977 zur „Verwaltungsgemeinschaft der Produktenbörsen in Baden-Württemberg“ zusammen, um mögliche Synergieeffekte der Verwaltungsarbeit zu bündeln und zu nutzen. Diese Einrichtung hat sich bewährt. Die Vorstände beschlossen deshalb 1992 die Gründung des „Südwestdeutsche Warenbörsen e.V.“ Stuttgart – Mannheim als gemeinsamen Trägerverein zu gründen und übertrugen Vermögen, Organisationsleitung und Fachaufgaben zu gemeinsamer Nutzung auf diese neue Einrichtung. Diese Entscheidung hat sich als sinnvoll und nützlich erwiesen.
Ursprung der im Jahre 1862 gegründeten Mannheimer Börse war der vom Kurfürsten Karl Theodor 1789 gegründete „Fruchtmarkt“. Die Mannheimer Produktenbörse ist nicht nur die größte Einrichtung ihrer Art Süddeutschlands, sondern wohl auch die vielseitigste in Deutschland. Ihr wechselvolles Schicksal spiegelt gleichzeitig die Wirtschaftsgeschichte des Südwestraumes wider; Mannheim war seinerzeit (1862) Endpunkt der schiffbaren Wasserstraße und Ausgangspunkt zahlreicher Eisenbahnlinien zur Weiterbeförderung von Massengütern in die Pfalz, nach Elsaß/Lothringen, Württemberg und Bayern. Dem Auf- und Ausbau der Hafenanlagen folgte die Ansiedlung von Spediteuren, Lagerhäusern, Mühlen, Mischfutterwerken und der größten Ölmühle Europas. Getreidehäuser internationalen Zuschnitts hatten bald hier ihren Sitz. Die größte Blüte erlebte der Börsenplatz zwischen 1890 und 1914 und nochmals zwischen 1920 und 1934 mit täglichen, später zweimal wöchentlich stattfindenden Börsenveranstaltungen, Preisnotierungen etc.. Das war damals auch nötig, weil die Waren nach vorgelegten Mustern, loco oder auf Termin gehandelt wurden und schnelle Nachrichtenmittel fehlten.
Ursprung der im Jahre 1861 gegründeten Stuttgarter Börse war der ins 18. Jahrhundert zurückreichende Schrannenhandel (um 1850 rund 75 Schrannen in Württemberg), kennzeichnend durch die enge Verzahnung mit der Landwirtschaft, dem Fruchthandel, der Mühlen- und Malzwirtschaft. Sie war stets mittelständisch ausgerichtet und erlangte überregionale Bedeutung durch den Ausbau der Schienen- und Wasserwege im schwäbischen/alemannischen Raum.
Die Frankfurter Getreide- und Produktenbörse ist gleichfalls im Jahre 1862 errichtet worden. In der Stadtgeschichte wohlbekannte Kaufleute sowie ein Bierbrauer stellten bei der Handelskammer Frankfurt den Antrag auf Errichtung einer Produktenbörse. Die Initiatoren hatten für ihr Vorhaben den Frankfurter Landwirtschaftlichen Vereien gewinnen können dessen Vorstandsmitglieder den Antrag mit unterzeichnet haben. Damit wurden die jahrzehntelangen missglückten behördlichen Versuche für einen gedeihlichen Produktenhandel von den Gründern in eigene Regie und Verwantwortung übernommen. Der Gründung vorausgegangen war die Auflösung des bis 1842 bestehenden Fruchtmarktes. Dadurch kam aber der Getreidehandel nicht zum Erliegen. Er entzog sich lediglich der amtlichen Kontrolle. 1848 wurde von einem der Initiatoren ein öffentliches Lokal, eine verbindliche Marktordnung, amtlich bestellte Makler und ein Lagerhaus am Main gefordert, damit der Fruchthandel in Frankfurt, der bisher im wesentlichen von Auswärtigen betrieben worden ist, endlich gedeihen könne. Gefordert wurde, dass der Fruchtmarkt von den Beteiligten selbständig getragen wird. Die Entwicklung der Börse verlief genauso erfolgreich, wie bei den in der gleichen Zeit gegründeten Börsen in Mannheim und Stuttgart.
Es wäre nicht richtig, die heutige Bedeutung der drei Börsen an den Wirtschaftsvoraussetzungen der Jahrhundertwende zu messen. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Strukturen der Landwirtschaft, die Handelsusancen, der Besucherkreis, die fachlich orientierten Marktvoraussetzungen, die Kommunikationstechnik und damit letztlich Aufgabe und Ziel einer heutigen Warenbörse haben sich geändert. Damit ändert sich auch der Status der Börsen, die jedoch nach wie vor unentbehrliche Funktionen für die Agrarwirtschaft erfüllen.
Die drei Produktenbörsen haben – im Gegensatz zu vielen kleineren Börsen – ihre Existenzberechtigung, weil sie für ihre rund 200 Mitglieder und den Ablauf der Warengeschäfte für Getreide, Futtermittel, Eier und Heizöl satzungsgemäß zahlreiche attraktive Aufgaben wahrnehmen.
Sie sind regelmäßige Zusammenkünfte für persönliche Kontakte, Einzelgespräche, individuelle Informationen, Gedankenaustausch, Meinungsbildung; für den Abschluß von Geschäften oder deren Anbahnung laut Konsumforschung basieren 60 % der Geschäfte im Wirtschaftsleben auf persönlichen Bindungen. Für die einzelnen Waren gibt es heute kaum noch Mustervorlagen, sondern klar umrissene Kriterien, Standards und festgelegte Handelsbedingungen. Es gilt noch immer das „gesprochene Wort“. Neue Mitglieder werden von den Vorständen, die sich alle drei Jahre neu konstituieren, zugelassen. Mitglieder werden aber auch notfalls entlassen, wenn sie gegen den Ehrenkodex verstoßen: z.B. bei Zahlungseinstellung, Konkurs oder unehrlichem Geschäftsgebahren.
Die Börsenlokale sind Treffpunkt der Börsenmitglieder, die Börsen besuchen, um Geschäfte anzubahnen, abzuschließen oder abzuwickeln. Die Börsenveranstaltungen dienen jedoch nicht nur dem Handel, sondern sind darüberhinaus auch ein „Markt der Ideen“ und geben Gelegenheit zum fachlichen Gespräch.
Die Mitglieder der Börsenvorstände und weitere Vertreter aus Kreisen der Käufer und Verkäufer, paritätisch zusammengesetzt, versammeln sich in den Börsenlokalen am Montag in Mannheim Dienstag in Stuttgart und am Donnerstag in Frankfurt / Flörsheim zur Feststellung von Preisen (Fest- oder „von-bis“-Preise) für die gehandelten Warenarten. Die Preise werden durch Angebot und Nachfrage, Erntezahlen, Währungsbewegungen, behördliche Maßnahmen, Schiffsraten, Wetterbedingungen, Auslandsdaten, Marktstimmung, Konkurrenzverhalten sowie durch Qualitätsmerkmale etc. beeinflußt. Festgestellt werden auch Preise ausländischer Waren. Gleichzeitig wird die Marktentwicklung festgestellt (Tendenz).
Die Notierungen werden am Börsentag im Börsensaal bekanntgegeben und der Tages- und Fachpresse zugeleitet; die Veröffentlichungen erfolgen bereits am nächsten Tag. Die Preise sind weitgehend Leitpreise der laufenden Woche für alle übrigen süddeutschen Börsen. Die Börsennotierungen dienen außerdem regelmäßig den Bundesbehörden wie Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung in Frankfurt, den Bundes- und Landesministerien etc. als aktuelle und statistische Arbeitsgrundlage. Börsenvorstände und die bestellten Notierungsausschüsse erfüllen mit der Preisfeststellung auf privatrechtlicher Grundlage die Aufgabe Markttransparenz über die gehandelten Waren herzustellen und erfüllen damit eine wichtige wirtschaftspolitische Aufgabe. Warentermingeschäfte wie z.B. in Chicago – mit Einschuß, Leerverkäufen, Preissicherungen über Makler – werden in Mannheim und Stuttgart nicht getätigt. Sie werden von der im Jahre 1996 gegründeten Warenterminbörse Hannover abgewickelt.
Die abgeschlossenen Kontrakte basieren in der Regel auf den von den Warenbörsen herausgegebenen und vereinbarten Vertragsbedingungen wie z.B. den „Einheitsbedingungen im Deutschen Getreidehandel“, dem Deutsch-Niederländischen Vertrag, dem Hamburger Futtermittelschlußschein und ähnlichen von den Börsen zur Verfügung gestellten Musterverträgen. In diesen Bedingungen sind Rechte und Pflichten der Verkäufer und Käufer ausgewogen geregelt.
Für Auseinandersetzungen aus den Kontrakten werden jeweils auch Streitentscheidungen durch das Börsenvereinsschiedsgericht vereinbart, die auf der Grundlage einer gemeinsamen Schiedsgerichtsordnung durchgeführt werden. Die Schiedsgerichte der drei Börsen bestehen laut Schiedsgerichtsordnung aus einem Obmann und zwei Schiedsrichtern; sie werden auch als Oberschiedsgerichte (Berufungsgericht) mit drei Schiedsrichtern tätig. Die am Handel Beteiligten ziehen diese private Gerichtsbarkeit den staatlichen Gerichten vor, wenn es sich um typische Streitfragen des Warengeschäfts handelt. Sie erwarten fachspezifische und gerechte Urteile. Die Gebühren sind niedriger als bei den Verfahren bei den staatlichen Gerichten, die Abwicklung ist schneller. Rechtsberater, wie Hausjuristen der Firmen, Rechtsanwälte etc. sind zugelassen aber nicht erforderlich. Schiedsgerichtsverfahren häufen sich in Zeiten hoher Preisschwankungen. Das Schiedsgericht steht allen Marktbeteiligten zur Verfügung, ohne Rücksicht darauf, ob sie Mitglieder der Börsen sind oder nicht.
Die anfallenden Arbeiten der Börsengemeinschaft erledigen die Sekretariate des eingetragenen Trägervereins „Südwestdeutsche Warenbörsen e.V.“, dem ein Volljurist als Geschäftsführer und Syndikus vorsteht. Die Aufgaben umfassen neben Verwaltungsfragen u.a. die Überwachung der Börsenveranstaltungen und der Notierungen, die Abwicklung von Schiedsgerichtsverfahren, die Beratung von Mitgliedern, die Anpassung der Kontraktbedingungen, Schiedsgerichtsordnung und Notierungsordnungen an die geänderten Verhältnisse sowie die Aufrechterhaltung und Pflege der Kontakte zu anderen Börsen, Ministerien, Verbänden und deren Mitgliedern. Die Mitglieder des Börsenvereins werden über den internen Rundschreibendienst, über alle börsenspezifische Angelegenheiten unterrichtet..
Spezielle Ausschüsse klären Fachfragen, wie z.B. die pro-rata-Verteilung von Schiffsladungen, Braugerstenkonditionen, Probenahmerichtlinien etc.. Die Ergebnisse kommen nicht nur den Börsenmitgliedern der drei Börsen, sondern auch allen übrigen Unternehmen der deutschen Agrarwirtschaft zugute.
In der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waren- und Produktenbörsen, die in den 70-er Jahren von der Mannheimer Börse gegründet worden ist, werden börsenrelevante Fragen auf Bundesebene diskutiert und gemeinsame Aufgaben von einer deutschen Warenbörse für alle übrigen federführend wahrgenommen. Der Vorsitz und die Geschäftsführung der Arbeitsgemeinschaft war von 1981 bis 1984 der Mannheimer Produktenbörse übertragen. Anfang 1996 sind Vorsitz und Geschäftsführung für drei Jahre vom Südwestdeutsche Warenbörsen e.V. übernommen worden, dem turnusgemäß ab 01. Januar 2008 die Geschäftsführung erneut übertragen wurde.
Die Mannheimer Produktenbörse ist Gründungsmitglied der Europäischen Warenbörse mit Sitz in Straßburg, die jährlich einmal an einem europäischen Börsenplatz eine Börsenveranstaltung durchführt, an der 1.500 bis 1.800 „Börsianer“ aus Europa und Übersee teilnehmen. Das Interesse an dieser Europäischen Warenbörse ist inzwischen so groß geworden, daß dem Gremium jährlich ein bis zwei regionale Warenbörsen aus ganz Europa neu beitreten. Im Jahr 1981 war die Stuttgarter Waren- und Produktenbörse mit der Ausrichtung der Europäischen Warenbörse beauftragt; 1998 hat die Mannheimer Produktenbörse die Europäische Warenbörse mit großem Erfolg (2400 Teilnehmer) durchgeführt.
Der Südwestdeutsche Warenbörsen e.V. ist geschäftsführendes Mitglied der „Oberrheinbörse“, eine Veranstaltung, die einmal jährlich von deutschen und französischen Börsen links und rechts des Oberrheins abgehalten wird.
Das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg hat den Südwestdeutsche Warenbörsen e.V. mit seinen drei Börsen als wirtschaftlich bedeutsame Institution anerkannt. Die Industrie- und Handelskammern Mannheim und Stuttgart begleiten und unterstützten als Gründungsinstitutionen die Arbeit der Börsen Mannheim und Stuttgart.
Die drei Börsen betrachten sich nicht nur als Einrichtungen des Handels, sondern auch als Institutionen der Städte Mannheim, Stuttgart und Frankfurt am Main.
Über die Notwendigkeit und die Existenzberechtigung der Warenbörsen – nicht nur in Deutschland, sondern in vielen anderen Ländern der Welt – und mit Ausnahme von Großbörsen wie Chicago, London, Paris, Winnipeg etc. – ist in den letzten Jahren viel nachgedacht worden. Der Mitgliederschwund, bedingt durch Strukturänderungen, hat in mancher Region Börsen zur Aufgabe oder Einschränkung ihrer Funktionen veranlaßt. Der Verein „Südwestdeutsche Warenbörsen e.V.“ mit den drei von ihm verwalteten Börsen hat dagegen in den letzten Jahrzehnten seinen Ruf als funktionsfähige Börseneinrichtung erhalten und seine Bedeutung auf einzelnen Märkten des agrarwirtschaftlichen Warensektors festigen können.
Die Aufgaben wandelten sich; die vorstehend zitierten vier Säulen des Börsengeschehens sind Garant für das Weiterbestehen. Ermutigend ist besonders die Vielfalt der an der Existenz der Börsen interessierten Mitglieder: Landhandel, Warengenossenschaften, Mühlen, Mischfutterindustrie, Getreidegroßhandel, Importeure, Spediteure, Banken, Mälzereien, Brauereien, Düngemittel-Fabriken, Agenten und Makler; sie beleben das Bild des Geschehens und zeigen, daß Telefon, Fernschreiber, Internet oder Bildtextübertragung menschliche Kontakte und persönliche Gespräche nicht ersetzen können. Der freie, ungehinderte zukünftige Warenverkehr wird durch überarbeitete GATT-Bedingungen, vergrößerte EU- Märkte, verbesserte Verkehrswege (Wasser/Schiene/Straßen), den europäischen Marktteilnehmern neue Möglichkeiten und Chancen eröffnen. Die Börsenplätze Mannheim, Stuttgart und Frankfurt am Main im Südwesten Deutschlands liegen im Zentrum des Geschehens und werden auch künftig ihre Standorte nutzen.
Rechtsanwalt Hans-Peter Heine
Syndikus
4. Auflage – 2009
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